Mit Geoinformationen zu schnelleren Prozessen in der Energiebranche

von Florian Rudisch und Christophe Biwer | 21. Juni 2023 | Allgemein, Data, Software Engineering, Tools & Frameworks

Florian Rudisch

Lead Developer und Ansprechpartner DevCon

Christophe Biwer

Senior Developer

Die Nutzung von Geoinformationssystemen (GIS), so z.B. im Rahmen von Navigationsanwendungen oder Logistikdiensten, ist allgegenwärtig. Unsere Autoren stellen einen Anwendungsfall in der Energiebranche vor bei dem durch GIS der Planungsprozess für Hausanschlüsse an Strom- und Erdgasnetze standardisiert und automatisiert werden kann, was Zeit spart und Fehler reduziert.

Geoinformationssysteme im Alltag

Dank des technischen Fortschritts ist die Erdkugel (nahezu) komplett digital erfasst. Uns Menschen wird dadurch der Blick von oben in fremde Länder genauso wie in den Vorgarten des Nachbarn ermöglicht. Sogenannte Geoinformationssysteme (GIS) liefern die Informationen für diese Darstellung der Erde und sind die Basis für viele Funktionen wie z.B. die Berechnung von Distanzen und optimalen Wegen zwischen zwei beliebigen Punkten auf der Erdkugel. Die Ergebnisse können wir uns dann direkt auch noch in 3D oder verschiedenen Zoom-Stufen anschauen.

Geoinformationssysteme sind in den letzten 10-15 Jahren sukzessive ein unsichtbarer, aber nicht mehr wegzudenkender Teil des Alltags geworden wie beispielsweise in Form von Navigationsanwendungen wie dem von Google Maps. Aber auch Liefer-Apps (wie z. B. Lieferando) und Verkehrs-Apps (wie z. B. der DB-Navigator) nutzen GIS. Je nach Art des Fortbewegungsmittels werden hier sehr unterschiedliche Informationen benötigt und verarbeitet.

Neben Navigationsdaten können Geodaten auch in Anwendungen eingebunden werden, um Informationen wie z.B. Standorte graphisch und leicht verständlich darzustellen. Denn die Koordinaten der Allianz Arena in München in Dezimalgrad „48.21888550355027, 11.624744769303316“ sind maschinenlesbar, aber für das menschliche Augen nicht zuzuordnen. So nutzen z.B. Banken Geoinformationen, um den nächsten Geldautomaten für Ihre Kunden auf einer Karte darzustellen oder bei Logistikanbietern wie dpd kann man dank der Daten sehen, wo sich gerade das Lieferauto mit dem gewünschten Paket befindet.

Die Anwendungsgebiete für Geoinformationen sind daher so breitgefächert wie vielfältig.

Ein Gebiet, was wir uns vertieft mit unserem Kunden, der TEN Thüringer Energienetze GmbH & Co. KG, angeschaut haben​, ist der Einsatz von Geoinformationen zur Prozessautomatisierung im Bereich Energie, ein Gebiet auf das man ansonsten vielleicht nicht als Erstes als Einsatzort für Geoinformationsdaten gekommen wäre. Die TEN Thüringer Energienetze ist ein Verteilnetzbetreiber, also ein Anbieter von Infrastruktur für Strom, Erdgas und Fernwärme.

Die Herausforderung

Wenn jemand ein neues Haus bauen möchte, muss neben dem Internet- und Wasseranschluss auch ein Stromanschluss und eventuell auch ein Erdgasanschluss geplant werden. Hierfür muss man genau definieren, wo der Hausanschluss sein soll und wie dieser Hausanschluss mit einer der Hauptleitungen z.B. unter der Straße verbunden werden können. Dies ist wichtig für den Hausbauer, denn sein Installateur muss den Hausanschluss legen, aber auch für den zuständigen Verteilnetzbetreiber oder auch Netzbetreiber, der das Haus an die Hauptleitungen anschließen muss.

Dieser Planungsprozess ist leider meist immer noch händischer Natur: Auf Millimeterpapier wird vom Kunden oder der Baufirma das Haus, die gewünschte Position des Anschlusses sowie der Verlauf der Hausanschlussleitung eingezeichnet und dann dem Netzbetreiber per Post oder E-Mail zugeschickt. Anschließend analysiert ein Mitarbeiter des Netzanbieters diese Angaben und setzt einen möglichen Anschluss an die nächste Hauptleitung sowie den Verlauf des Anschlusses fest. Alternativ werden individuelle, oft nicht optimal lesbare Anschlusspläne vom Kunden dem Netzbetreiber in Papierform oder digital zur Verfügung gestellt.

Dieser Umgang mit den Planungsdaten ist auf beiden Seiten aufwändig und verursacht durch die Medienbrüche einen hohen Zeitaufwand und potenziell auch Fehler. Eine einheitliche Datenbasis, die leicht ausgewertet und weiterverarbeitet werden kann, fehlt.

Mit Hilfe eines GIS konnten wir diesen Prozess so optimieren, dass ein Kunde bei dem Antrag eines neuen Hausanschlusses die Daten schnell, standardisiert und ohne Dokumentenupload innerhalb weniger Klicks zur Verfügung stellen kann. Zeitgleich konnten wir dank einer Datenanreicherung so weit gehen, dass im Standardfall kein Mitarbeiter des Netzbetreibers mehr einen Blick auf den Plan werfen muss, weil er automatisch verifiziert wird.

Dafür ist zunächst eine Karte des betroffenen Grundstücks sowie der Verlauf der nächstgelegenen Hauptleitungen des Netzbetreibers notwendig. Hierfür muss der Kunde zunächst sein Flurstück oder seine Adresse angeben, die dann entsprechend identifiziert und ihm für die weiteren Schritte als Kartenausschnitt angezeigt werden.

Abbildung 1: Kartenausschnitt des vom Nutzer zuvor angegebenen Grundstücks. Ergänzend werden bereits die Hauptleitungen sowie die Bebauung der Grundstücke angezeigt. Die Flurstücksgrenzen, Leitungen und Gebäude in dunkelgrau kommen aus dem GIS, der Hintergrund von OpenStreetMap.

Anschließend geht es darum, dass der Kunde die Bauplanung nun auf diesem Kartenausschnitt einzeichnet und damit das Wissen mit dem Netzbetreiber teilt. Hierfür haben wir Werkzeuge zum Einzeichnen des Gebäudes sowie des Hausanschlusses zur Verfügung gestellt, die eine genaue Abbildung des Bauplans erlauben. Wenn der Kunde sein Haus und die gewünschte Position des Hausanschlusses markiert hat, wird automatisch der kürzeste und optimale Weg zwischen Hausanschluss und Hauptleitung für ihn berechnet und ihm angezeigt.

Abbildung 2: Der Nutzer hat das Gebäude sowie die Anschlüsse markiert. Darauf basierend wurden Leitungsverläufe generiert und werden ihm mit den entsprechenden Längen angezeigt.

Der Kunde kann nun noch diesen Verlauf der Leitung anpassen, falls es Hindernisse gibt, welche den dargestellten Verlauf verhindern (wie z.B. ein geplantes Schwimmbad oder ein Carport).
Ist der Kunde fertig mit der Abbildung, kann er bereits im Prozess der Antragstellung fortfahren.

Dieser Ansatz ermöglicht den vormals händischen Prozess komplett zu digitalisieren. Neben dem glücklichen Kunden, der seinen Hausanschluss auf dem Sofa zu jeder Uhrzeit und ohne Dokumente planen kann, stehen dem Netzanbieter direkt maschinenlesbare Informationen zur Planung des Anschlusses zur Verfügung. Diese umfassen sowohl einen genauen Lageplan des geplanten Hauses mit dem Hausanschluss als auch einen dezidierten Leitungsverlauf, bei dem die jeweilige Länge direkt schon berechnet ist. Dies ermöglicht eine direkte, automatisierte Weitergabe der Planungsdaten an das GIS-System, das diesen Planungsstand direkt und ohne manuellen Eingriff wiederrum abbilden kann.

Technischer Hintergrund

Geoinformationssysteme benötigen eine Geodatenbasis. Diese Daten von Geoinformationssysteme können öffentliche Geoinformationen wie Daten von Behörden aber auch proprietäre Informationen sein, die nur dem Netzbetreiber zur Verfügung stehen. Die Speicherung, Verarbeitung und Bereitstellung der Daten erfolgen meistens über zentrale Datenbanken, welche in der Lage sind, komplexe Geometrien sowie Sachinformationen zu Objekten schnell zu verarbeiten, strukturiert abzulegen und bereitzustellen. Hierfür stehen verschiedene Geoserver zur Verfügung.

Für die Darstellung von geographischen Informationen im Browser stehen unterschiedliche Bibliotheken zur Verfügung wie z.B. die quelloffenen Bibliotheken OpenLayers und Leaflet sowie die kommerzielle Google Maps-Plattform. Letzteres stellt die Karten- und Geoinformationen bereits mit der Bibliothek zur Verfügung. Erstere benötigen jedoch eine Quelle für die Darstellung einer Karte. Diese können in Form eines Web Map Service (WMS) bereitgestellt werden, ein Standard für die Darstellung von Geoinformationen in Karten- oder Bildform.

Der Geoserver stellt über einen WMS ein Abbild des Terrains, inklusive der angefragten Informationen, als gerendertes Bild dem Anfragenden zur Verfügung. Im Browser bzw. der Bibliothek werden die Daten des WMS als Layer eingebunden und sind daraufhin in der Karte sichtbar. Ein WMS kann in der eben beschriebenen Antragsstrecke eingesetzt werden, um Leitungsinformationen neben den Straßen- und Geländeinformationen in der Karte für den Nutzer anzuzeigen.

var osm = L.tileLayer('https://tile.openstreetmap.org/{z}/{x}/{y}.png', {
    maxZoom: 19,
    attribution: '© OpenStreetMap'
});

var specific-layer = L.tileLayer('your-gis-server.de/{z}/{x}/{y}.png', {});

var map = L.map('map', {
    center: [39.73, -104.99],
    zoom: 10,
    layers: [osm, specific-layer]
});

Das obige Code-Beispiel baut eine Leaflet-Karte auf. Die Karte beinhaltet zwei Layers. Der eine Layer (osm) stellt das Kartenmaterial von OpenStreetMaps dar (Straßen, Häuser, Flüsse, …). Der zweite Layer (specific-layer) kann spezielle Informationen eines propriäteren GIS-Servers zur Verfügung stellen wie die beschriebenen Leitungsinformationen.

Der Web Feature Service (WFS) ist neben dem WMS als vektorieller Standard vorhanden, welcher anstelle von gerenderten Informationen konkrete Daten bereitstellt. Ein WFS stellt hierfür Vektordaten zur Verfügung, um zum Beispiel Koordinaten eines Hauptleitungsverlaufs im JSON- oder XML-Format abzurufen. Im Falle der Antragsstrecke bilden die Daten des WFS die Basis für die Berechnung der kürzesten Strecke zwischen Hausanschluss und Hauptleitung.

Mit Hilfe von WMS und WFS kann dann der Nutzer der Antragsstrecke ein Grundstück mit Flurinformationen und der Stromhauptleitung ansehen. Zur interaktiven Planung des Hauses, Anschlusses und der Leitung im Grundstück steht beispielweise Leaflet gemeinsam mit dem Plugin Leaflet-Geoman zur Verfügung.

Die Kombination aus Kartendarstellung und Plugin ermöglicht das Setzen von Markern zum Definieren der Koordinaten für den Hausanschluss und das grobe Einzeichnen des Hauses sowie von Hindernissen wie Bäumen o.ä. auf dem Grundstück.

Basierend auf dem eingezeichneten Hausanschluss, Haus und Hindernissen kann ein möglicher Verlauf für die Verbindung zwischen Hauptleitung und Hausanschluss berechnet werden. Die quelloffene Bibliothek turf.js bietet verschiedene geometrische und geographische Funktionen für eine solche Berechnung an. Eine eigenständige Implementierung der Berechnung ist nicht empfehlenswert aufgrund von verschiedenen Faktoren, die in eine Berechnung bzw. exploratives Finden von Pfaden einfließen.

var start = [-5, -6];

var end = [9, -6];

var options = {
  obstacles: turf.polygon([[[0, -7], [5, -7], [5, -3], [0, -3], [0, -7]]])
};

var path = turf.shortestPath(start, end, options);

Das obige Code-Beispiel berechnet den kürzesten Pfad zwischen einem Start- und Endpunkt, wobei ein Hindernis umgangen werden muss. Das Beispiel verwendet hierfür ein einfaches Koordinatensystem. Der Ansatz kann aber auch bei den komplexeren geographischen Koordinatensystemen angewendet werden. Hierbei gilt es allerdings Faktoren wie bspw. die Auflösung zu beachten. Die Anforderungen an die Genauigkeit der Berechnung unterscheiden sich bei Abständen von mehreren Kilometern im Vergleich zu wenigen Metern. Je kleiner der Abstand zwischen den Punkten ist umso genauer muss der Algorithmus arbeiten, um dem Hindernis auszuweichen.

Die genannten technischen Werkzeuge und Techniken ermöglichen die flexible Einbindung eines Geoinformationssystems in eine Antragsstrecke, um den händischen Prozess der Planung eines Hausanschlusses zu digitalisieren und automatisieren.

Fazit

Geoinformationssysteme sind – bewusst oder unbewusst – Teil des Alltags für jedermann und können zudem helfen, komplexe bzw. händische Geschäftsprozesse zu vereinfachen und zugänglich für Kunden zu machen. Hierbei stehen zahlreiche technische Hilfsmittel (teilweise sogar kostenlos) zur Verfügung, die von der Anzeige von Satellitenkarten bis hin zu komplexen mathematischen Berechnungen reichen.

Dank dieser Möglichkeiten konnten wir für die TEN Thüringer Energienetze den Zeitaufwand einer Hausanschluss-Beantragung für den Standardfall von mehreren Wochen auf ca. 10-15 Min. für den Nutzer reduzieren und gleichzeitig den Prozess deutlich kundenfreundlicher gestalten.

Auch andere Anwendungsfälle von Geoinformationen konnten wir bereits umsetzen wie z.B. eine automatisierte Zuständigkeitsprüfung, die abgleicht, ob das Grundstück in das aktuelle Zuständigkeitsgebiet des Netzbetreibers fällt und, falls ja, welche Mitarbeiter und Planungsteams jeweils die Ansprechpartner sind. Auch hierfür arbeiten wir mit Kartenmaterial, um den Schritt für den Nutzer möglichst intuitiv zu gestalten und dem Netzbetreiber gleichzeitig direkt verwertbare Daten zu generieren.
Wie ihr seht – die Möglichkeiten sind vielfältig und vielseitig einsetzbar, probiert es einfach aus!